Investitionen an der Börse sind geprägt von der ständigen Bewegung der Kurse, ein Auf und Ab, das sowohl Anleger als auch Analysten in seinen Bann zieht. Während Anleger oft die Aufwärtsbewegungen bejubeln, sind es gerade die abrupten Abwärtsbewegungen, die für Kopfzerbrechen sorgen. Sie kommen schlagartig, hart und unerwartet, und hinterlassen eine Spur von Unsicherheit und Verlusten. Dieses Phänomen ähnelt einer Lawine, eine schnelle und steile Kurskorrektur, die alles mit sich mitreißt und die Anleger und Märkte gleichermaßen erschüttern kann.
Es stellt sich die Frage, wie solche Bewegungen zustande kommen. Sind es wirklich Horden von Anlegern, die kollektiv zur Bank laufen (oder heutzutage ihre Banking App öffnen) und ihre Wertpapiere abstoßen? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Die Realität ist komplexer und findet ihren Ursprung in der Mechanik von Kauf- und Verkaufsordern, die die Preisbildung an der Börse regulieren. In diesem Artikel beleuchten wir, wie genau diese Orders funktionieren, wie sie zu markanten Kursbewegungen führen, und warum diese oft stärker nach unten ausfallen als nach oben.
Die Börse ist ein Marktplatz, an dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Doch wie in jedem Markt sind nicht alle Teilnehmer gleich. Einige besitzen mehr Informationen, andere haben bessere Technologien, und wieder andere handeln aus rein emotionalem Impuls heraus. Diese Teilnehmer interagieren in einem komplexen Ökosystem, um Wertpapiere zu kaufen und zu verkaufen. Die Preise, zu denen diese Transaktionen stattfinden, sind ein direktes Resultat ihrer Entscheidungen und der von ihnen genutzten Strategien.
Die Grundlage jeder Preisbewegung ist das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Wenn mehr Anleger ein Wertpapier verkaufen wollen, als es Käufer gibt, fällt der Preis. Umgekehrt steigt der Preis, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Diese Dynamik ist grundsätzlich einfach zu verstehen, aber die Ausführung von Kauf- und Verkaufsaufträgen, die diesen Prozess steuert, ist es weniger.
Zwei Haupttypen von Orders dominieren die Börse: die unlimitierten und die limitierten Orders. Unlimitierte Orders, oft auch als Market Orders bezeichnet, werden zum besten verfügbaren Preis sofort ausgeführt. Der Auftrag lautet sinngemäß: "Ich möchte jetzt diese Aktie kaufen/verkaufen, ganz egal zu welchem Kurs, Hauptsache so schnell wie möglich." Diese dringliche Natur der unlimitierten Orders bedeutet, dass sie oft als Katalysatoren für schnelle Preisbewegungen dienen, da sie keine spezifischen Preisbeschränkungen haben.
Limitierte Orders hingegen sind präziser. Sie werden erst ab einem vorher festgelegten Preis ausgeführt. Dieser Auftrag lautet sinngemäß: "Ich möchte die Aktie kaufen/verkaufen, sobald ein bestimmter Kurs erreicht wird." Dieser Ordertyp bilden das Rückgrat des Orderbuchs, einer dynamischen Liste von Kauf- und Verkaufsaufträgen, die auf ihre Ausführung warten. Limitierte Orders können als eine Art Puffer agieren, der extreme Preisbewegungen abfedert, indem sie den Markt mit einer vordefinierten Preisstruktur versorgen. Sie kann jedoch auch eine Bewegung verheerend verschärfen.
Damit sich ein Aktienkurs bewegt, bedarf es beide Ordertypen. Die unlimitierte Order, die die Richtung (den Impuls) vorgibt und die limitierte Order, die über den weiteren Fortgang entscheidet.
In jedem Handelsraum ist das Orderbuch das Herzstück der Operationen. Es gibt Aufschluss darüber, zu welchen Preisen wie viele Wertpapiere gekauft oder verkauft werden wollen. Ein Blick ins Orderbuch verrät uns, wie tief oder flach der Markt ist, das heißt, wie stabil oder volatil die Preise potenziell sein könnten.
An einem vollständigen Orderbuch können wir sehen, bei welchen Preisstufen große Mengen an limitierten Orders liegen und wie sich diese auf potenzielle Kursbewegungen auswirken könnten. Das Zusammenspiel dieser limitierten Orders mit den Marktorders bestimmt, wie schnell und in welche Richtung sich der Kurs bewegt.
Machen wir es etwas greifbarer: Es ist Freitagmorgen, die Sonne scheint und die Vögel zwitschern. Man freut sich auf das bevorstehende Wochenende. Nur noch ein Handelstag, dann ist die Handelswoche vorbei. Das Handelsvolumen ist noch sehr überschaubar. Doch mit der Ruhe kann schnell Schluss sein. Wenn nun ein Marktteilnehmer eine große Anzahl von Wertpapieren unlimitiert verkaufen möchte, entsteht Druck auf den Kurs. Denn ohne ein entsprechendes Gegenangebot in Form von Kauforders fällt der Kurs auf die nächstniedrigere Preisstufe mit ausstehenden Kauforders. Das führt oft zu einer Kette von Reaktionen, die sich durch das Orderbuch nach unten fräsen, wenn eine Verkaufsorder die nächste auslöst, wie bei einer Abwärtslawine.
Um diese Dynamik besser zu verstehen, stellen wir uns folgendes Szenario vor: Der Kurs einer Aktie steht bei 100 €, und es gibt keine unmittelbaren Kaufinteressenten zu diesem Preis. Plötzlich "betritt" ein größerer Marktteilnehmer das Parkett und möchte 50.000 Stück einer Aktie verkaufen.
Da niemand bereit ist, diese Aktien zu 100 € zu kaufen, fällt der Preis bis zur ersten Stufe, bei der es Anleger gibt, die kaufen möchten (limitierte Kauforders). Dies sind Anleger mit einer Nachfrage von 10.000 Stück. Von den ursprünglichen 50.000 Angebot sind also noch 40.000 Stück offen. Da auch andere Anleger zu diesem Kurs 5.000 Stück verkaufen wollen (Stop-Loss-Orders, weil der Kurs unter 100€ gefallen ist), gibt es also insgesamt noch einen Verkaufsüberhang von 45.000 Stück.
Nun wird wieder eine Etage tiefer geschaut, ob Anleger endlich kaufen wollen. Das wäre bei 98 €.
Und dieses Spiel setzt sich solange fort, bis sämtliche Kauf- und Verkaufsinteressen gestillt sind.
In unserem Beispiel war dies ein einziger Anleger mit einem größeren Verkaufswunsch, der eine ganze Lawine an limitierten Verkaufsaufträgen in Gang setzte. Ein einziger Anleger, der eine Abwärtsbewegung von 10 % auslöste.
Eine manuelle Aktion zog eine automatische Kettenreaktion nach sich. Dies kann innerhalb von Sekunden ablaufen, ohne dass ein einziger Anleger aktiv reagieren kann. Diese Reaktionen kommen erst im Anschluss.
Es sind nicht nur die Zahlen und Aufträge, die die Kurse bewegen. Psychologie spielt eine wesentliche Rolle an den Märkten. Abwärtsbewegungen laufen oft schärfer und schneller ab, da Angst ein stärkerer Treiber ist als Gier. Wenn Anleger Angst haben, Geld zu verlieren, neigen sie dazu, schneller zu reagieren, was zu einer Beschleunigung des Verkaufsdrucks führt. Dieses Phänomen wird durch die verbreitete Nutzung von automatischen Handelssystemen und Algorithmen noch verstärkt, die auf bestimmte Preispunkte oder Indikatoren programmiert sind, um Handelsentscheidungen zu treffen.
Eine Betrachtung realer Marktgeschehnisse zeigt, dass solche Abwärtslawinen nicht nur theoretische Konzepte sind, sondern durchaus sehr häufig vorkommen. Die Aktie von Globe Life rutschte am 11.04.2024 in der Spitze um 63% ab. Die Geschichte ist voll von Beispielen, wo einzelne Ereignisse oder Verkäufe von großen Positionen bedeutende Preisrutsche ausgelöst haben. Manchmal sind es Nachrichten oder makroökonomische Ereignisse, die als Auslöser dienen, aber oft sind es einfach die Mechanismen des Marktes selbst, die diese schnellen Bewegungen verursachen.
Und es trifft nicht nur die vermeidlich "kleinen" Unternehmen. Allein letzte Woche hieß es: Super Micro Computer -20,6 %, Sartorius -18,8 %, Tesla -14 %, NVIDIA -13 %, Netflix -11 %, Broadcom -10 %, AMD -10 % ... Und die Masse dieser Rücksetzer jeweils innerhalb eines einzigen Tages. Ich könnte noch lange so weitermachen, denn die Liste der Aktien, die in dieser Woche >5 % abgegeben haben, liest sich wie das Who’s Who der Aktienmärkte.
An diesen Tagen rissen in tausenden Anlegerdepots (nein, nicht in unseren) reihenweise KO-Schellen von Hebelzertifikaten und endeten für den jeweiligen Anleger im Totalverlust. Dieser Tag hatte das Potential ganze Depots in den Totalverlust zu treiben, obwohl übergeordnet nicht viel passiert ist. In den allermeisten Fällen wird sich der Aufwärtstrend dieser Aktien ziemlich unbeeindruckt fortsetzen. Aber nicht für die betroffenen Anleger dieser Zertifikate.
In der Welt der Finanzen sind Abwärtsbewegungen oft ein Anlass zur Sorge, doch ein tiefes Verständnis der Marktmechanismen kann zu einer nüchterneren Betrachtungsweise führen. Obwohl sie viszerale Reaktionen hervorrufen können, sind diese Bewegungen Teil eines komplexen Systems von Angebot und Nachfrage, das durch das Verhalten der Marktteilnehmer und deren Orders angetrieben wird. Es ist wichtig zu verstehen, dass solche schnellen Kursveränderungen selten die Gesamtheit des Marktsentiments widerspiegeln. Und diese wäre nötig, um einen tatsächlichen Trendwechsel auszulösen. Sie sind Momentaufnahmen, beeinflusst von der Struktur und den vorherrschenden Orders im Orderbuch.
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